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Bedauern und Verspotten

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Die Doppelstrategie der römisch-katholischen Kirche im Umgang mit ihren Opfern

Von Holger Eich

Ist es denn nur Zufall, wenn wir in der letzten Woche so scheinbar unvereinbare Meldungen aus den Reihen des römisch-katholischen Klerus hören durften? Auf der einen Seite dankt der Kardinalerzbischof von Wien mit bewegter Stimme im Stephansdom den Opfern, dass sie ihr Schweigen über die an ihnen verübten Verbrechen gebrochen haben:  „Wir, Gottes Volk, seine Kirche, tragen miteinander an dieser Schuld„.  Klare, deutliche Worte – so urteilte die Österreichische Presse. Doch: „Wir, Gottes Volk. Seine Kirche“?

Eine solche Verallgemeinerung könnte einerseits Evangelische oder Altkatholiken erzürnen, weil wieder einmal die römisch-katholische Kirche mit „Gottes Volk“ und „seiner Kirche“ gleichgesetzt wird – aber das sind peanuts, die schon keinen mehr wundern…

Denn über all diese Kritik strahlt doch hinaus: Immerhin spricht hier der Kardinalerzbischof ein Schuldeingeständnis aus! Im Tenor gemütvoll und glaubhaft – und im Gewande des aus der Schublade der Fastenfeste herausgekramten Ritus des Bußgottesdienstes auch besonders würdevoll inszeniert. Wer wird es da wagen, die Redlichkeit dieser Darbietung in Frage zu stellen?

Allerdings – um wessen Schuld geht es da nun genau? Hat es etwa etwas zu bedeuten, wenn Herr Schönborn immer nur in der ersten Person Plural spricht? „Wir…tragen Schuld“? Nun, diesmal ist es wohl nicht der Pluralis Maiestatis, sondern hier holt er aus zur großzügigen Kollektivbeschuldigung – „Wir haben vertuscht“. Wirklich wir? Oder vielleicht doch Einzelne? Einzelne in den verantwortlichen Positionen?

Es ist doch überraschend, dass ausgerechnet jetzt – wo nach der (auch strafrechtlichen) Verantwortung Einzelner, die im Hierarchiesystem der römisch-katholischen Kirche die Macht haben zu verzögern, zu vertuschen und großzügig zu verzeihen – jetzt, wo nach deren Schuld gefragt wird, ausgerechnet jetzt plötzlich „Wir alle“ Kirche sind. Wird da nicht doch im vorösterlichen Weihrauchdunst Verantwortung und Schuld vernebelt?

Und während im Stephansdom Tausende von Gläubigen „Wütend, mein Gott“ waren, sorgen andernorts die strammeren Glaubens-Hirten dafür, das Stammklientel zu befriedigen: Zufällig ausgerechnet der Hausprediger des Papstes, Herr Cantalamessa, vergleicht die Empörung gegen die Verbrechen römisch-katholischer Geistlicher mit Antisemitismus. Wem das nicht reicht, dem wird noch angeboten, dass nach Ansicht des Regensburger Bischofs Müller die aktuelle Medienberichterstattung mit der Kampagne der Nationalsozialisten gegen die Kirche gleichzusetzen sei. Und der Kardinaldekan, Herr Sodano, erklärt das mutige Brechen des jahrzehntelangen Schweigens der Opfer für „unbedeutendes Geschwätz“. Da geht doch noch mehr, meine Herren!

Sind das alles ungeplante „Ausreißer“ oder „Missverständnisse“ , die dann nachdem sie weltweit verbreitet worden sind, jemand anders kleinlaut und selbstverständlich mit großem Bedauern zurechtrückt? Oder bedient sich hier eine Organisation, die so Jahrtausende überlebte, ihrer scheinbar bewährten Strategie der Selbsterhaltung – für jeden etwas anzubieten?

Auf der einen Seite wird angeboten, was von der empörten Öffentlichkeit erwartet wird – Reue, Mitgefühl und Ankündigung von Reinigung. Das ganze Programm! Parallel dazu erschallen aus Rom und Regensburg, zufällig den Wirkungsorten des Stellvertreters Gottes, die Donnerworte der Fundi-Fraktion.

Während Herr Schönborn den Opfern pflichtgemäß dankt, dass sie reden, erklärt der Vatikan ihre Aussagen für „unbedeutendes Geschwätz“.

Für jeden wird was geboten, um die Schafe zusammen zu halten.

Doch es scheint, dass die, die in dieser Kirche zum Opfer geworden sind, nicht mehr für den Fortbestand der Herde schweigen werden. Und es ist zu hoffen, dass die schon vorbereiteten Opferlämmer diesmal nicht mehr zur Schlachtbank gehen werden.