betroffen.at

Ist das Verbrechensopfergesetz menschenrechtskonform?

in Allgemein

Kirchenopfer wendet sich an Menschengerichtshof. Entscheidung über Entschädigung seit 10 Jahren anhängig. VwGH verschleppt Verfahren seit fast drei Jahren.

Straßburg, Wien, Michaelbeuern/Sbg (OTS) – Der heute 71jährige Klaus O. besuchte in den 60er Jahren die Klosterhauptschule des Benediktinerstiftes Michaelbeuern. Er wurde dort von mehreren Autoritätspersonen sexuell missbraucht: dem Rektor, dem Erzieher und seinem Lehrer. Zusätzlich erlitt er dort auch physische Gewalt. Er leidet seitdem an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Persönlichkeitsstörung nach Extrembelastung sowie einer Angststörung. Infolgedessen war er langjährig arbeitslos und hatte einen entsprechenden Verdienstentgang. Dieser wurde anhand von Parallelbiografien zweier gleichaltriger Schulkollegen errechnet und liegt bei EUR 450.000.-

Auch Opfer wegen „Homosexualität“ verurteilt

Der heute hochbetagte Haupttäter wurde 1970 vom LG Salzburg der „Verführung zur Unzucht“ und des Verbrechens „wider die Natur mit Personen desselben Geschlechts“ rechtskräftig verurteilt (ein Straftatbestand bis 1971). Auch Klaus O. als Opfer wurde wegen „Homosexualität“ zu zwei Monaten „schweren Kerker“ drei Jahre auf Bewährung verurteilt (!). Als er im Jahre 2010 endlich die Kraft hatte, auch eine zivilrechtliche Schadenersatzklage gegen den Orden und den Täter zu führen, scheiterte diese, weil die r.k. Kirche, trotz anderslautender Bekenntnisse in der Öffentlichkeit, auf Verjährung pochte.

Keine Unterstützung im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes

In der Hoffnung auf Entschädigung stellte Klaus O. 2013 stellte beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, den Antrag auf Hilfeleistungen (Verdienstentgang, Heilbehandlung) nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG. Das Bundesamt führte keine mündliche Verhandlung durch, sondern wies den Antrag sofort ab, ohne auf die vorgebrachten Beweismittel einzugehen. Klaus O. reichte daraufhin Beschwerde ein und brachte vor, dass es keine mündliche Verhandlung gegeben hatte und dass weder Tatzeugen und noch seine behandelnden Ärzte vernommen worden waren.

Gutachter: Antragsteller sei bloß „depressiv“

Schließlich führte das Bundesverwaltungsgericht 2020 eine mündliche Verhandlung durch und bestellte einen offenbar inkompetenten Gutachter, der nach 30 Minuten zum Ergebnis kam, dass Klaus O. nicht an den Folgen der sexuellen Übergriffe leide, sondern schlicht langanhaltend depressiv sei („Dysthymie“). Dann wurde jedoch auf Basis eines Privatgutachtens des gerichtlich beeideten Sachverständigen Doz. Dr. Salvatore GIACOMUZZI ein Wiederaufnahmeantrag gestellt. Er macht die Kausalität der Misshandlungen und der Arbeitsunfähigkeit deutlich. Auch dieser Antrag wurde vom BVwG abgelehnt.

„Strikte Kausalität“

Das österr. Verbrechensopfergesetz verlangt von Opfern den strikten Nachweis, dass die erlittenen Misshandlungen kausal für die Arbeitsunfähigkeit seien. „Es ist zynisch, von einem Mann, der damals ein Kind war und erst Jahrzehnte später darüber reden kann, einen solchen Nachweis zu verlangen”, erklärt die Anwältin Vera Weld. “Aus meiner Sicht ist es auch menschenrechtswidrig (Artikel 3 EMRK), dies zu verlangen.” Sie hat daher den Europäischen Menschengerichtshof angerufen. Überdies würde die Länge des Verfahrens ein Verstoß gegen die Fairnessbestimmungen darstellen, denn diese sehen eine Entscheidung in angemessener Zeit vor – der VwGH lässt sich nun schon fast drei Jahre Zeit mit einer Entscheidung.

Kirche und Staat gemeinsam gegen Opfer?

„Die Leidensgeschichte von Klaus O. zeigt, wie kirchliche und staatliche Stellen gemeinsam agieren und Rechte von Missbrauchsopfern beschneiden”, erklärt Sepp Rothwangl, Obmann der Plattform Betroffener Kirchlicher Gewalt. “Die r.k. Kirche kommt mit ihrem Verjährungseinwand ungeschoren davon und die Behörden weisen Anträge nach dem Verbrechensopfergesetz meist schon automatisiert ab. Gewaltopfer werden von allen Stellen alleine gelassen.“ Rothwangl fordert einmal mehr eine rückwirkende Aufhebung der zivil- und strafrechtlichen Verjährung bei Missbrauchsfällen und ein Einschreiten des Staates gegen die Vertuschungsstrukturen der röm.-kath. Kirche.