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Missbrauchs-Vorwürfe gegen Altbischof Küng: Jetzt spricht das Opfer

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St. Pölten, Wien (OTS) – „Im Zuge meiner persönlichen Aufarbeitung habe ich als katholischer Priester Bischof Küng das, was er mir angetan hat, bereits verziehen. Ich will ihn nicht zur Rechenschaft gezogen oder bestraft sehen. Das habe ich bereits in meiner kircheninternen Anzeige ausdrücklich betont und meinerseits alles getan, deren Folgen für ihn so gering wie möglich zu halten. Was ich zuerst und vor allem erreichen möchte ist, dass ein derartiger Machtmissbrauch, wie er von Bischof Küng seinerzeit verübt wurde und in der Kirche theoretisch nach wie vor möglich wäre, zukünftig nicht mehr vorkommen kann.

Victimblaming
Die Diözese St. Pölten hat nach dem öffentlichen Bekanntwerden der Missbrauchsanzeige gegen Bischof Küng unverzüglich und bedenkenlos die Täterperspektive eingenommen und in vollständiger Täter-Opfer-Umkehr alles getan, um mich in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Diese altbekannte Reaktion kirchlicher Einrichtungen auf das Bekanntwerden von Missbrauch durch Kleriker, namentlich durch hochrangige Kleriker, sollte eigentlich längst überwunden sein. Wie sollen sich andere Betroffene – zumal solche, die ebenfalls nach wie vor im Dienst der Kirche stehen – je wieder vertrauensvoll an kirchliche Missbrauchsbeauftragte und ähnliche Einrichtungen wenden können, wenn sie befürchten müssen, von Seiten diözesaner Pressesprecher umgehend einem derart massiven Victimblaming ausgesetzt zu werden?

Nährboden für Missbrauch
Ich werde oft gefragt, gerade auch von anderen Missbrauchsbetroffenen, warum ich nach den Erfahrungen, die ich machen musste, überhaupt noch in der Kirche bin und in ihr sogar als Priester wirke. Darauf kann ich nur antworten, dass man ein derart geschlossenes System wie die Kirche am besten von innen heraus verändern kann. Fälle wie die des polnischen Erzbischofs Juliusz Paetz, des britischen Kardinals Keith O’Brien, des US-amerikanischen Kardinals Theodore MacCarrick und jetzt der des ehemaligen Bischofs von St. Pölten haben, so schlimm sie auch sein mögen, bei all ihrer Unterschiedlichkeit letztlich auch ein Gutes: Die unselige Sexualfixierung in der Kirche und der noch weitaus unseligere Moralismus, insbesondere die notorische Homophobie, für die Bischof Küng geradezu beispielhaft steht, muss endlich ein Ende finden! Beide zusammen bilden nämlich einen geradezu perfekten Nährboden für Missbrauch!

Rechtliche Schritte?
Bischof Küng behält sich rechtliche Schritte in Bezug auf die gegen ihn eingebrachte Missbrauchsanzeige im Vatikan vor. Das ist sein gutes Recht – und ganz in meinem Sinn: Ich habe mich bereits zuvor den (nicht von mir veranlassten) staatsanwaltschaftlichen und kriminalpolizeilichen Ermittlungen nicht verwehrt und ausdrücklich verlangt, bei der Aufarbeitung des gegenständlichen Missbrauchs gemäß den von Papst Franziskus in seinem Apostolischen Schreiben „Vos estis lux mundi“ vom 7. Mai 2019 erlassenen Normen vorzugehen.

Unglaubwürdig?
Bischof Küng behauptet (laut KATHPRESS), die im März 2019 eingegangene Anzeige gegen ihn sei „aufgrund der Unglaubwürdigkeit der Quellen nicht weiter verfolgt worden“. Das ist unwahr. Tatsächlich kam es auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft St. Pölten, wenngleich ohne mein Zutun, zu einem umfänglichen kriminalpolizeilichen Ermittlungsverfahren. Am Ende der Ermittlungen, die zunächst unter dem Straftatbestand „Sexuelle Belästigung“ (§ 218 ÖStGB) geführt worden waren, bewertete die zuständige Staatsanwaltschaft die meiner Anzeige zugrunde liegenden Vorfälle schließlich als „versuchte Vergewaltigung“ (§ 201 iVm § 15 ÖStGB). Hätte das Verfahren nicht wegen eingetretener Verjährung eingestellt werden müssen, wäre es wohl zu einer gerichtlichen Anklage gegen Bischof Küng gekommen, an dessen Ende ihm eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren gedroht hätte.

Bischof Küng ein Arzt?
Bischof Küng behauptet (laut KATHPRESS), er sei Arzt und habe mir am Abend des 6. Dezember im Bischofshaus von St. Pölten ein „leichtes Beruhigungsmittel angeboten“, welches ich „dann eingenommen“ hätte. Das ist unwahr. Tatsächlich ist Bischof Küng längst kein zugelassener Arzt mehr. Bei dem mir von ihm verabreichten Medikament hat es sich auch nicht um ein „leichtes Beruhigungsmittel“ gehandelt, sondern um ein verschreibungs- und rezeptpflichtiges Psychopharmakum (Benzodiazepin). Er hat mir das Medikament auch nicht „angeboten“, sondern mit seinen eigenen Fingern in den Mund gesteckt. Um sicher zu sein, dass ich das Medikament geschluckt hatte, hat er mich daraufhin genötigt, ein Glas Wasser zu trinken. Da ich mich dagegen zur Wehr gesetzt habe, ergoss sich ein erheblicher Teil des Wassers über meine Kleidung. In Anbetracht der Tatsache, dass Bischof Küng ein verschreibungs- und rezeptpflichtiges Psychopharmakum im Bischofshaus vorrätig hatte, stellt sich die Frage, zu welchem Zweck dies der Fall war. Außerdem hätte er als studierter Mediziner wissen müssen (und hat es zweifellos gewusst), dass die Verabreichung eines sedierenden, muskelrelaxierenden und hypnotischen Psychopharmakums bei einem vorübergehenden Schwächeanfall (niedriger Blutdruck), wie ich ihn kurz zuvor erlitten hatte, absolut kontraindiziert war und die Symptome eher verstärken als beheben würde. Dass es sich um kein „leichtes Beruhigungsmittel“ gehandelt hat bestätigt auch der Befund einer kurz darauf durchgeführten Laboruntersuchung, bei der ein Benzodiazepin nachgewiesen wurde.

Starker Alkoholkonsum?
Bischof Küng behauptet (laut KATHPRESS), ich sei nach meiner Rückkehr aus dem Bischofshaus in meine Wohnung „aufgrund starken Alkoholkonsums […] vom Balkon im ersten Stock gestürzt“. Das ist unwahr bzw. in wahrheitswidriger Weise unvollständig. Tatsächlich habe ich nach der Rückkehr in meine Wohnung ein Glas Rotwein getrunken, um den schier unerträglichen Ekel und die entsetzliche Scham zu vergessen, die ich aufgrund der durch ihn verübten Übergriffe empfand (und auch heute noch empfinde). Abgesehen davon halte ich meine kircheninterne Missbrauchsanzeige gegen Bischof Küng vollumfänglich aufrecht. Alles was ich darin zur Sprache gebracht und im Zuge der daran anschließenden staatlichen und kirchlichen Verfahren zu Protokoll gegeben habe, entspricht bis in jedes noch so unbedeutende Detail hinein der Wahrheit!

Betroffene sollen sich melden
Etwaige weitere Betroffene – insbesondere dann, wenn sie, wie ich, nach wie vor im Dienst der Kirche stehen – möchte ich abschließend ermutigen, ihre Erfahrungen ebenfalls zur Sprache zu bringen. Das mag angesichts des ebenso massiven wie beschämenden öffentlichen Victimblamings durch Bischof Küng und der Pressesprecherin der Diözese St. Pölten schwerer sein denn je, lohnt sich aber dennoch: Zum einen befreit es von einer ungeheuren seelischen Last, die man auf andere Weise niemals los wird, und zum anderen trägt es dazu bei, dass es endlich aufhört: dass sowohl die den Missbrauchstätern Einhalt geboten wird und zum anderen die kirchlichen Strukturen aufgebrochen werden, die unter Umständen Missbrauch ermöglichen, wenn nicht sogar befördern.“

Dr. Dr. Wolfgang F. Rothe

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