Die von Hubertus Czernin anhand von vielen, auch bisher unveröffentlichten, Originaldokumenten erstellte und systematisch recherchierte Chronik der österreichischen Kirchenkrise zeichnet deren Verlauf nach, vom Fall Groer – jenem seltsamen Charismatiker, der, unterstützt von Bischof Kurt Krenn, die österreichische Kirche in Richtung eines neuen und autoritären Fundamentalismus führen wollte, bis seine sexuellen Belästigungen und Mißbräuche allzu öffentlich wurden -, vom Widerspruch und Widerstand dagegen bis zum Kirchenvolksbegehren und der späten Dialogbereitschaft der Bischofskonferenz.
Rezensionen:
1. Ich war über 10 Jahre Mitglied der Legio Mariens. Zum ersten mal hörte ich über die Mißbrauchsvorwürfe, und daß Anklagen gegen Groer niedergeschlagen wurden, im Jahr 1992. Damals habe ich all das nicht geglaubt. Heute, nachdem ich mich vom einengenden, sektoiden Legiomileu frei gemacht habe, sehe ich, wie viele Psychokrüppel dieses System eigentlich produziert (wenn man noch voll darin steckt und religiös gebaute Scheuklappen trägt, sieht man das alles nicht). Ich habe selber für meinen Fanatismus einen hohen Preis in Form von jahrelangen schweren Depressionen gezahlt (wurden ausgelöst durch zwei Erlebnisse sexueller Art – gottlob keine Mißbrauchserlebnisse, allerdings hat sich schon vorher vieles bei mir wie vor einem Vulkanausbruch zusammengestaut). Daß Groer, wenn er seinen Schülern an die Genitalien griff, von vielen nicht als Mißbraucher wahrgenommen wurde, leuchtet mir ein. Bei jemanden, der sich solch einer Sakrosanktität erfreut hat, galt jede sexuelle Regung als undenkbar, und viele der neuen religiösen Bewegungen sehen den auf der psychosexuellen Stufe eines Kindes stehengebliebenen Menschen als Idealtypus. Erst im Erwachsenenalter wurde diesen Männern bewußt, daß sie von Groers Neigungen, die dieser selber sicher nicht wahrhaben wollte und auf eine andere Ebene zu suplimieren versuchte (nicht umsonst sagte er: ich habe keine Lust dabei gespürt”. Das das unglaubwürdig ist, leuchtet allerdings sofort ein, denn es gibt kein Begehren ohne Lust), mißbraucht wurden. Was es bedeutet, daß Männer wie Pater Rupert Dinhobl oder Gottfried Schätz aus dem Orden ausgetreten sind, die als treueste Soldaten der Legio galten, und Pater Udo Fischer jetzt gegen die Amtskirche rebelliert (wahrscheinlich auch eine indirekte Rebellion gegen Groer), zeigt, wie sehr unterdrückte und verdrängte Erinnerungen jetzt zu Tage getreten sind, und wie sehr diesen und anderen Männern bewußt wurde, daß deren “Berufungen” nichts anderes als Akte der Hörigkeit und des Gehorsams gegenüber Groer waren. Aus derselben Motivation läßt sich auch erklären, daß Josef Hartmann, der Mann, der den Groerskandal 1995 ins Rollen brachte, sich 1988 noch um eine Stelle bei der Erzdiözese Wien bewarb, wo er in Groers Nähe gewesen wäre. Die Legio gilt ihren AnhängerInnen als sakrosankt, und erst wenn man sich völlig von ihren Manipulationsmechanismen wie Treueversprechen und der Einsugherierung, man wäre von Gott und der Jungfrau Maria für die Legio berufen worden, frei gemacht hat, kann man unvoreingenommen sehen, welchen Schaden dieses System anrichtet, und ein freies selbstbestimmtes Leben führen. Ich rate allen, die an den Folgen der Mitgliedschaft bei extremistischen religiösen Gruppierungen zu leiden haben, einen Therapeuten zu suchen, der sich auf das Sektenmilieu spezialisiert hat (es hilft wirklich!!!). Und kirchlich tätigen Personen rate ich, den Inhalt dieses Buches ernst zu nehmen. Dieses Buch ist nicht das Ergebnis irgendwelcher obskurer Verschwörungen gegen die Kirche, wie ich es auch schon hören konnte, sondern detailgetreue Wahrheit (auch wenn gewisse Kapitel, wie z. B. die Briefe von Gunthild Ritschel etwas konfus sind).
2. Hubertus Czernin hat viele Skandale aufgedeckt, aber die Affäre Groer war wohl sein wichtigster. Dass ein Missbrauchstäter 10 Jahre lang Österreichs Kirche repräsentieren und leiten durfte, war unglaublich und wurde bis zu Czernins Aufdeckung auch nicht geglaubt. Nun konnte man nicht mehr unter den Teppich kehren, was viele aus leidvoller Erfahrung wussten: Viele Priester hatten ihre Sexualität keineswegs im Griff. Als Psychotherapeut, der Opfer kirchlichen Missbrauchs behandelt hat, kann ich nur sagen: Die Dunkelziffern waren wohl viel größer als vermutet. Czernins Leistung ist es, dass nun weltweit mit dieser vertuschten Praxis Schluss gemacht wird oder sich die Opfer zumindest dagegen wehren können.