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Der Bastard: Der Fürsorgezögling

Von Franz Josef Stangl 244 Seiten Bibliothek der Provinz 2008

1957 – der fünfjährige Franzi, lediges Kind einer Bauernmagd, wird von seiner Mutter bei einer Pflegefamilie in der Nähe von Graz abgegeben. Gehässigkeit, Geiz und Misshandlung begleiten ihn so lange, bis er das erste Mal zurückschlägt und aus dem Haus gewiesen wird. Ein Segen für das verstörte Kind, wird es doch von der verhassten Fürsorgerin zu einer Familie gebracht, wie sie im Bilderbuch steht, die ihn aufnimmt, wie einen eigenen Sohn.

Doch das Glück währt nicht lange, schon bald muss Franzi zurück in seinen Albtraum, wird aus der Bilderbuchwelt der “Schaukelmutti” gerissen, um nach einem kurzen Aufenhalt bei der ursprünglichen Pflegefamilie das erste Mal wegzulaufen. Er ist damals noch keine zehn Jahre alt, verbringt Tage und Wochen auf der Suche nach dem Zuhause, dem er so brutal entrissen wurde. Natürlich wird er aufgegriffen und an den Ort gebracht, wo er endgültig davon Abschied nehmen muss, ein Kind zu sein.

Schwerstarbeit, mangelhafte Ernährung, Scheitelknien und Prügel bis zum Umfallen begleiten ihn und seine kleine Schwester, die ebenfalls der scheinheiligen Bäurin Mehringer als “Pflegekind” zugewiesen wurde. Bei ihren angekündigten Besuchen erlebt die Fürsorgerin ein Idyll, wie es schöner nicht sein könnte. Saubere Gesichter, ein Tisch, der sich biegt vor köstlichen Speisen, freundliche Kinder, was will man mehr. Niemand schaut hinter die Fassade oder gar unter die Kleidung der Kinder, wo lange Narben ihre Rücken verunzieren. Als Franzi einmal mehr rebelliert, wird er nach Graz ins Heim gebracht, aus dem er kurz darauf wegläuft, um wieder in sein persönliches Paradies zu flüchten. Zur “Schaukelmutti”, die ihn auch mit offenen Armen wieder aufnimmt. Doch vergeblich sind ihre Beteuerungen, Franzi wird zurückgebracht und landet kurz darauf in einer Anstalt für Schwererziehbare.

Man fragt sich beim Lesen dieses Buches, was Menschen dazu bewegt, ein Kind aufzunehmen, wenn sie es sowieso nur schlecht behandeln. Bei der Bäurin Mehringer ist es ja klar, die brauchte billige Arbietskräfte und jemanden, an dem sie ihre Aggressionen abbauen kann. Bei den Kichs muss es wohl das Geld gewesen sein, denn ich nehme an, dass man auch in den Fünfzigern schon dafür bezahlt wurde, wenn man ein Pflegekind aufnahm.

Abgesehen von Franzis Schicksal erschüttert mich die Ahnung, dass derlei Dinge heute immer noch passieren, dass immer noch – trotz der guten Absicht vieler – Kinder durch dieses Sieb in den Abgrund rutschen, bei Pflegefamilien misshandelt und missbraucht werden und die Fürsorger zu beschäftigt oder zu abgebrüht sind, um mit offenen Augen in die richtige Richtung zu schauen.
Ob es heute immer noch derartige angekündigte Besuche der Fürsorge gibt, auf die sich die Misshandler ordentlich vorbereiten können? Ein Mascherl ins Haar, die Narben gut verdeckt, den Dreck schnell entsorgt – wo war denn da die Schule, die Lehrer? Gab es denn in der damaligen Zeit keinen Menschen, der Mitleid mit einem kleinen Kind hatte, der sich gefragt hat, warum ein Zehnjähriger so voller Aggressionen ist?

Mehr Informationen ISBN: 978-3-85252-909-7